Der Teufel mit den Hashtags

Dieser Text war eigentlich als Feedback zu einer Podcast- / YouTube-Folge von Maik Kroner angedacht.
Dann drehten sich aber meine Gedanken weiter und weiter um das Thema und ich fragte Maik, ob es okay wäre, wenn ich einen Blogbeitrag aus meinem Kommentar schreiben würde und er war einverstaden.

Hier das YouTube-Video als Grundlage:

Für mich wurde die Frage „Wie stark wird die eigene fotografische Kreativität von Bildern im Internet beeinflusst?“ gar nicht beantwortet.

Interessant und als Fundament für die eigentliche Frage, vorweg die Frage von Maik selbst:
„Ist das ein Bild, was die Welt braucht, was ich unbedingt hochladen muss?“ NEIN.
Aber sie werden hochgeladen, weil der Algorithmus (Instagram) sonst abrauscht.
Der Instagram-Algorithmus ist eine „Wenn-Dann-Funktion“: WENN man zum Zeitpunkt X ein gefälliges Bild mit den Hashtags, die aktuell trenden, hochläd, das in der Story noch postet, seinen Followern noch eine Frage stellt, DANN belohnt Instagram dieses Verhalten mit höherer Sichtbarkeit und Reichweite.

Dass die durchschnittliche Betrachtungsdauer eines Bildes bei Instagram beim Durchscrollen 0,4 Sekunden (Ja, NULL Komma vier Sekunden!) beträgt, trägt nur zur Tatsache bei, dass Instagram und das Präsentieren der eigenen Bilder dort maximal dem schnellen Konsum gelten kann.
Deswegen funktionieren auch die vielen „einfachen“ Bilder, gerade in der Portraitfotografie, dort sehr gut: Attraktive Frau, bißchen Bokeh drumherum: Funktioniert!
Erstens, weil´s auf einer sehr flache Ebene anspricht (Optisch allgemeingültig ansprechend), zweitens weil´s sowieso nicht lange angesehen wird (0,4 Sekunden) und drittens, weil sich ja auch niemand die Zeit nehmen WILL, ein Bild in Streichholzschachtelgröße auf dem Handy länger anzusehen.

ABER weil Instagram eben diese „Allgemeingültigkeit“ mit Reichweite und Sichtbarkeit belohnt, richten einige Fotografen Ihr komplettes fotografisches Schaffen genau danach aus und somit beeinflusst Instagram natürlich das Schaffen dieser Fotografen.
Ihre Bilder „funktionieren“, erzeugen Likes & Sichtbarkeit, dadurch werden mehr Modelle etc. auf diesen Fotografen aufmerksam, Workshops und Coachings werden besser beworben und gesehen und so weiter und so fort.
Es ist Marketing, noch bevor es Fotografie ist. Noch WEIT bevor es Kreativität ist. Oder gar den Fotografen repräsentiert.

Ein weiterer, beeinflussender Faktor in der ganzen Geschichte ist die Vergleichbarkeit: Follower & Likes sind empirische Werte und seit wann ist Fotografie oder sollte Fotografie zu bewerten sein?
Oder hat „Afghan Girl“ von Steve McCurry „5 von 5 Sternen, gerne wieder“ bekommen? Oder wurde das historisch bedeutsame „Tank Man“ empirisch bewertet?
Nein, diese Bilder bewegen uns, machen etwas mit dem Betrachter – Das macht sie zu wichtigen Fotos – ganz ohne Likes! 

Inzwischen gibt es Fotografen, die NUR für Instagram fotografieren und dementsprechend auch Ihre Fotografie nach Funktionalität und „Performance“ ausrichten und bewerten LASSEN.
Ein mir bekannter Fotograf sagte mir mal: „Wenn das Bild nicht innerhalb der ersten 60 Minuten 100 Likes bekommt, ist es nicht gut genug und ich lösche es wieder raus.“.
Aber ist Fotografie nicht eigentlich eine intrinsisch-motivierte Kunstform, die aus dem Innersten eines selbst herauskommen sollte? Ist es nicht vergleichbar mit dem Schreiben eines Songs oder dem Malen eines Bildes? Oder um Rick Rubin (Produzent von u.a. Adele, Santana, Eminem, Slayer und Johnny Cash) zu zitieren:
„Never do it for the audience, the audience comes LAST!“.
Machen aber die wenigsten, würde viel Mut erfordern…

Fotografie, gerade in der Insta-Welt, ist auch die einfachste und schnellste Kunstform von allem:
Kamera + Objektiv, bestenfalls mit großer Blende, Schwarzweißfilter, dazu W-Lan-Anbindung der Kamera und das Bild kann innerhalb weniger Minuten (!!!) nach dem Schuss hochgeladen werden.
Eigentlich braucht man auch gar keine Kamera mehr, ein zeitgemäßes Smartphone reicht.
Ein schneller Fix des geilen, digitalen Heroins. 
Einen Song zu schreiben, ein Bild zu malen, sogar ein Gedicht zu schreiben dauert i.d.R. länger.
Fotografie heutzutage ist komplett beeinflusst durch die Schnelllebigkeit des Internets und der sozialen Medien.

Gleichermaßen laden Fotografen Ihre B- und C-Bilder bei Instagram hoch, damit der Algorithmus bedient wird – das sind aber Bilder, hinter denen sie selbst gar nicht mal sooo zu 100% stehen, aber man „muss ja was hochladen, damit die Sichtbarkeit erhalten bleibt.“ – Wurde mir genau so erzählt.
Heißt also: Das eigene, fotografische Schaffen wird entweder komplett nach Insta-Funktionalität ausgerichtet oder es wird „Ausschussware“ hochgeladen, die nicht unbedingt den eigenen Qualitätsansprüchen entspricht, aber zur Lebenserhaltung der Reichweite dient.

Nehmen wir die „Kreativität“ der Ausgangsfrage noch schlussendlich als Thema mit dazu, muss man noch klarer und deutlicher sagen: Kreativität wird, eben aufgrund von „Belohnungen für Gefälligkeit“, getötet.
Schon bei Facebook hieß es damals: Sind Deine Bilder nicht gefällig, gefallen Sie nicht und niemand beachtet sie.
Das hat bis heute, wo Instagram den Platz Facebooks als führende Plattform eingenommen hat, seine Gültigkeit.
Digitales Dopamin in Form von Likes & Sichtbarkeit ballert halt einfach geiler, als eigenes Erdachtes, Erschaffenes und das, was aus dem eigenen Inneren kommt, auch wenn es dann nicht so viele Likes generiert.
Dann lieber das nächste Model vor dem Roll-Hintergrund oder auf dem Feldweg bei Blende 1.4 und irgendeinem „Art“-Objektiv… (NICHT Martin Hirsch, der kann´s nachgewiesenerweise richtig gut!)
Oder noch einen Schritt weiter: Es gibt Fotografen, denen ist der eigene MUT, etwas eigenes auch nur zu probieren, völlig abhanden gekommen, weil das dann bei Instagram nicht so performt.
Oder weil es dann dem Model nicht gefallen könnte, wodurch sie sich selbst als Fotografen zu Dienstleistern degradieren.
Aber heißt es nicht: „Ein gutes Foto zeigt immer mehr vom Fotografen als vom Model!“? Und damit sind nicht die gemeinsamen Selfies gemeint, sondern der Stil, die Handschrift des Fotografen im gemachten Foto…

Letzteres gipfelt in der Frage: Sind vermeintlich schöne Frauen das einzige Sujet, was Portraitfotografen anspricht?
„Nein“ antworten jetzt sicher einige – warum also sind sie immer das (einzige) tragende Element im Bild?
Keine Mühe bei der Komposition, keine Umgebung, keine Störer, nichts, was das FOTO als solches interessant macht: Nur eine schöne Frau (meistens).
Und… sind die dann achtlos vergebenen Likes nicht eigentlich virtuelle Komplimente an das Model? Denn für die austauschbare Art der Abbildung ganz sicher nicht, oder? Warum sollte man das immer-gleiche Bild, einzig unterschieden durch das abgebildete Model, mit einem Like versehen?
Fragen über Fragen…

Das alles ist echtes Feedback von mir bekannten Fotografen, Coaching- und Workshopteilnehmern oder schlichtweg von befreundeten Fotografen, mit denen ich mich unterhalte und über diese Themen austausche.
Oder es sind meine eigenen Eindrücke.
Fragt Euch mal selbst. Schaut mal selbst durch Euer fotografisches Umfeld.

Und bevor jemand den ersten Stein wirft: Ich bin am schnellsten von meinen eigenen Bildern gelangweilt und hinterfrage das, was ich tue…

Grüße:
Robin

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